BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kreisverband Hildesheim

Zoff um die virtuelle Flut

Einen guten Meter hoch steht das Wasser in der Elzer Bahnhofstraße. Es spült durch die Erdgeschosse von Wohnhäusern im tiefer liegenden Osten der Kleinstadt und über die Betriebsgelände von Firmen wie Graaff und VTG. Was klingt wie eine Katastrophen-Vision für Elze, wäre nichts anderes als das vom NLWKN neu berechnete "Jahrhundert-Hochwasser" für die Leine – also eine Flut, wie sie statistisch betrachtet alle 100 Jahre eintreten könnte.

Neue Überschwemmungsgebiete sorgen an der Leine für Unmut

(Hildesheimer Allg. Zeitung, 08.04.11) Kreis Hildesheim. Einen guten Meter hoch steht das Wasser in der Elzer Bahnhofstraße. Es spült durch die Erdgeschosse von Wohnhäusern im tiefer liegenden Osten der Kleinstadt und über die Betriebsgelände von Firmen wie Graaff und VTG. Auch die Bahngleise sind in den Fluten verschwunden, nur Bahnsteig und Bahnhofsgebäude tauchen einer Insel gleich noch aus dem Wasser auf. Hunderte von Häusern und Dutzende Unternehmen sind betroffen.

Was klingt wie eine Katastrophen-Vision für Elze, wäre nichts anderes als das neu berechnete "Jahrhundert-Hochwasser" für die Leine – also eine Flut, wie sie statistisch betrachtet alle 100 Jahre eintreten könnte. Hinter der Buchstaben- und Zahlenkombination "HQ100" verbergen die Experten vom Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) Analysen, die derzeit im ganzen Leinetal für mächtig Unruhe sorgen, besonders in Elze und Alfeld.

Vor allem Hausbesitzer sind betroffen – werden die Überschwemmungsgebiete so neu festgesetzt, wie es die NLWKN-Karten vermuten lassen, können Hunderte nicht mehr so einfach an-, um- oder ausbauen wie geplant. Weil es für neue Bauvorhaben, wenn überhaupt, nur Ausnahmegenehmigungen gibt – und die wären an Bedingungen geknüpft. Beispiel: Wer eine neue Garage bauen will, muss flussaufwärts einen Ausgleich schaffen, indem er dort eine vergleichbare Fläche ausbaggern lässt.

Für Unternehmen, die ihren Sitz in den betreffenden Gebieten haben, gilt das Gleiche. "Da kann großer wirtschaftlicher Schaden entstehen, wenn Firmen nicht expandieren können und wegziehen", bangt Elzes Bürgermeister Rolf Pfeiffer (SPD) mit Blick auf seine Stadt.

Die bekäme die Auswirkungen am deutlichsten zu spüren, sollte der Landkreis tatsächlich bis zum Jahr 2013 die Überschwemmungsgebiete der Leine nach den "HQ100"-Analysen des Landes neu berechnen. In keinem anderen Ort im Landkreis wären die Folgen so massiv, die Zahl der Betroffenen so groß (siehe Grafik). Chancen, etwas daran zu ändern, sieht Pfeiffer kaum: "Wir können höchstens mit Hilfe der Grundstückseigentümer im Detail darlegen, dass Flächen nicht so stark betroffen sind wie vom NLWKN angenommen, weil sie doch höher liegen oder weil sie von Mauern oder Dämmen geschützt werden." Dazu hofft er auf Hinweise der Immobilien- Besitzer.

An seiner grundsätzlichen Kritik an "HQ100" ändert das nichts. "Das große Rückhaltebecken Salzderhelden wurde gar nicht berücksichtigt – dabei hatten wir selbst ohne Salzderhelden noch nie solche Fluten wie hier angenommen!" Auch vom Leineverband geplante Rückhaltebecken an Leine-Zuflüssen bei Dassel (diese Zeitung berichtete) seien nicht berücksichtigt.

Der NLWKN verteidigt seine Haltung: "Bei einem extremen Hochwasser kann man davon ausgehen, dass das Becken schon vorgefüllt ist und die Wassermengen nicht mehr zurückgehalten werden können", erklärt Pressesprecherin Herma Heyken auf Anfrage. Im Übrigen könne der Landesbetrieb bei seinen Berechnungen nur bereits vorhandene Hochwasserschutz-Maßnahmen berücksichtigen. Rigoros auch die Haltung des NLWKN zum Bauen im Überschwemmungsgebiet: "Ganz wichtig: Vorhandene Bauten haben Bestandsschutz, aber neue dürfen natürlich nicht gebaut werden!"

Auch in Alfeld haben die neuen Karten für Empörung, teilweise sogar Entsetzen gesorgt. Die Stadt ist von Beginn an sehr offensiv mit dem Thema umgegangen. "Eine Bürgerbeteiligung ist in dieser Phase nicht vorgesehen", heißt es beim NLWKN, doch Alfelds Bürgermeister Bernd Beushausen veranstaltet derzeit eine Bürgerversammlung nach der anderen. In der Kernstadt geht es dabei um Wohngebiete an der Ziegelmasch, zudem im Ortsteil Föhrste um zahlreiche Wohnhäuser und einen großen Gartenbau-Betrieb, denen künftig in Sachen Ausbau die Hände gebunden wären. Die Stadt könne zwar letztlich nicht viel dagegen tun, bedauert Beushausen: "Aber wir können zumindest informieren, wenn die zuständigen Behörden das schon nicht tun."

In der Samtgemeinde Gronau herrscht hingegen Gelassenheit – zumindest beim Blick auf die Leine: "Wir haben in den vergangenen 15 Jahren eine Millionen- Summe in den Hochwasserschutz investiert", sagt der Erste Samtgemeinderat Thomas Mensing und nennt als Beispiel einen Polder nördlich der Stadt. "Außerdem koffern wir das Flussbett der Leine regelmäßig aus." Angesichts mehrerer Leinearme im Stadtgebiet habe Gronau dabei auch keine Wahl. Doch der Einsatz habe sich gelohnt: "Die neuen Überschwemmungsgebiete bringen für die Stadt Gronau kaum Veränderungen."

Doch sorgenfrei sind sie im Rathaus nicht. Kopfzerbrechen bereiten den Verantwortlichen zwei weitaus kleinere Gewässer, nämlich die Despe und der Hambach. "Für die Despe gibt es auch neue Festsetzungen von Überschwemmungsgebieten, das betrifft in Eitzum und Barfelde doch etliche Hausbesitzer." Der Hochwasserschutz im Despetal sei deshalb eine wichtige Aufgabe für die nächsten zehn Jahre. "Wir wollen vor allem Flutpolder anlegen, nicht die Flüsse eindeichen und so das Wasser beschleunigen", sagt er. Mensing kündigte auch weitere Abstimmungen mit dem Nachbarn Sibbesse an.

Gelassen blickt indes Nordstemmens Bauamtsleiter Harry Neise auf die neuen Karten: "Es müssen eben neue Hochwasser- Grenzen festgelegt werden, das läst sich ja nicht von der Hand weisen." Nordstemmen sei auch nur in Einzelfällen von den Veränderungen betroffen.

Gespannt warten derzeit die Verantwortlichen in Sarstedt auf Post vom NLWKN. "Weil bei Ruthe die Innerste in die Leine mündet, soll es gemeinsame Überschwemmungsgebiete geben", erklärt Verwaltungs-Vize Horst-Dieter Schelper. "In zwei bis drei Wochen" seien Ergebnisse zu erwarten. Dann könnte es ein dickes Ende geben – auch Sarstedts Bahnhof und Teile der Stadt liegen nicht so hoch. Elze lässt grüßen.

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