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Interview mit Stadt-Kämmerin Antje Kuhne vor der Haushaltsberatung im Rat: "Jo-Bad in derzeitiger Konstruktion nicht zu halten"
(Quelle: KEHRWIEDER am Sonntag, 6.6.10) Hildesheim. Am 14. Juni soll der Stadtrat den Haushalt für das laufende Jahr verabschieden, weitere Einsparungen stehen an. Die großen Brocken folgen allerdings erst in den kommenden Jahren. Im Gespräch mit KEHRWIEDER-Redakteur Jan Fuhrhop erklärt die städtische Finanzdezernentin Antje Kuhne, wie sie mit Hilfe des neuen Konsolidierungsprogramms die Neuverschuldung der Stadt auf Null fahren will.
KEHRWIEDER: Sie haben vor knapp drei Jahren Ihren Posten als Kämmerin angetreten, als sich Hildesheim finanziell gesehen bereits im tiefen Tal befand. Wo sehen Sie die Stadt heute?
Antje Kuhne: Das strukturelle Defizit ist weiter angewachsen, wir stehen bei über 50 Millionen Euro. Das ist natürlich eine Entwicklung, die uns große Sorgen macht. Der Anstieg ist in erster Linie durch die Wirtschafts- und Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009 entstanden. Die Gewerbesteuer ist weggebrochen, parallel dazu steigen die Sozialkosten an. Die Situation ist nur mit ganz drastischen Maßnahmen langfristig in den Griff zu bekommen, aber eben nicht kurzfristig.
Wie bewerten Sie die Chancen, diese drastischen Einschnitte auch durchzusetzen?
Ich sehe bei den politischen Akteuren einen deutlich stärkeren Sparwillen als noch vor zwei, drei Jahren. Wir müssen zusammen ein Paket schnüren, damit wir die Ausgaben senken und die Einnahmesituation verbessern. Das soll dazu führen, dass wir zumindest unser strukturelles Defizit in den Griff bekommen.
Waren die vergangenen beiden Jahre verlorene Jahre, weil Rat und Verwaltung es nicht geschafft haben, die entscheidenden Schritte gemeinsam zu machen?
Man hätte schon vor vielen Jahren Schritte einleiten und etwa Gebühren anpassen müssen. Aber ich will keine große Rückschau halten. Ich habe das Gefühl, dass wir jetzt mehr an einem Strang ziehen. Vielleicht musste es so schlimm werden, um jetzt zu sagen: Wir müssen den Karren gemeinsam aus dem Dreck ziehen. So ein umfangreiches Paket zu schnüren, ist aber auch nur schwer innerhalb eines Jahres möglich. In der Kämmerei sind zudem 90 Prozent der Mitarbeiter ausgetauscht worden. Da braucht man eine gewisse Anlaufphase, um solch ein gravierendes Projekt zu stemmen und in eine gute Form zu gießen.
In Ihrem Sparkonzept steht als ein großer Brocken der Einkreisungsvertrag mit dem Landkreis: Sie wollen die Zusammenarbeit und die Aufgabenverteilung neu regeln. In welchen Bereichen wollen Sie Aufgaben abgeben und dadurch Geld einsparen?
Wir mussten mit dem Landkreis erst mal den Status Quo abgleichen. Das klingt vielleicht zunächst komisch, aber es war schon schwierig, sich auf eine einheitliche Datenbasis zu verständigen. Jetzt entwickeln wir ein Modell, das die Möglichkeiten zu Veränderungen aufzeigt und wir sehen können: Was wäre wenn? Das Problem ist zurzeit, dass beide Seiten die Ergebnisse unterschiedlich interpretieren...
...der Landkreis will nicht als Verlierer dastehen...
Genau. Ich werbe im Moment dafür, dass wir die bestehenden Verträge für beendet erklären. Ich hoffe, dass ich dafür eine Mehrheit finde. Bei einer Neugestaltung gibt es vier große Themenblöcke: weiterführende Schulen, Kinderbetreuung in Krippen, Kitas und Horte, das Jugendamt sowie den Bereich des SGB XII (Leistungen der Sozialhilfe, d. Red.). Wir gehen im Moment davon aus, dass wir rund zehn Millionen Euro bis 2025 sparen würden.
Die Stadtratsfraktion der FDP hatte Anfang des Jahres bereits vorgeschlagen, die Aufgaben des Jugendamts an den Landkreis zu übertragen. Sie nennen nun ebenfalls diese Möglichkeit – halten Sie das für politisch durchsetzbar?
Ich persönlich kann mir eine andere Lösung als die heutige durchaus vorstellen. Wie die konkret aussieht, werden die politischen Beratungen und die Verhandlungen mit dem Landkreis ergeben. Was auf jeden Fall klar sein muss: Wenn es zu einer Neuregelung kommen sollte, muss die für uns unterm Strich wirtschaftlicher sein als die jetzige.
Mit dem Landkreis wollen Sie auch über die künftige Förderung des Theaters für Niedersachsen (TfN) reden. Wird das TfN aus Spargründen bald nur noch ein Schauspielhaus sein, weil man sich Musiktheater und Musical Company nicht mehr leisten kann?
Wir müssen mit den anderen Trägern und dem Theater zusammen ein Konzept entwickeln, wie wir uns das Theater in den nächsten 20, 30 Jahren vorstellen. Für mich ist ganz klar, dass ein Anwachsen der Zuschüsse ausgeschlossen ist. Das können wir uns einfach nicht leisten. Aus meiner Sicht ist auch der Status Quo auf Dauer nicht zu halten. Ich kann mir viele Lösungen vorstellen, aber sie müssen dazu führen, dass wir weniger zahlen als jetzt.
Sie planen auch Einschnitte beim Roemer- und Pelizaeus-Museum und beim Stadtmuseum. Gefährden Sie durch diesen Kurs nicht den Status Hildesheims als Stadt der Kultur?
Es geht nicht darum, Einrichtungen zu schließen. Wir wollen den Kulturstandort Hildesheim erhalten. Das ist auch mir ein Anliegen. Das Finanzdezernat und das Kulturdezernat werden jetzt gemeinsam mit Frau Dr. Lembke ein Konzept entwickeln, was mit dem Stadtmuseum passieren soll. Wir können in unserem Konsolidierungskonzept leider keinen Bereich ausklammern. Wir müssen bei den Ausgaben in allen Bereichen weiter runter. Das heißt dann auch, Standards abzusenken.
Die Bürger sollen direkt unter anderem über höhere Grundsteuern ihren Beitrag leisten. Welche Belastungen kommen auf die Hildesheimer zu?
Es geht vor allem um die Grundsteuer B, die Hundesteuer und die Vergnügungssteuer. Bei der Grundsteuer B soll zum einen der Hebesatz geringfügig angehoben werden. Zum anderen geht es darum, die Einheitswert- Bescheide, die vor 1980 ergangenen sind, überprüfen zu lassen. Diese Einheitswerte sind nicht mehr angemessen und müssen angepasst werden.
Sie haben nun auch das fast in Vergessenheit geratene Bäderkonzept wiederbelebt. Welche Vorschläge aus diesem Gutachten wollen Sie denn umsetzen?
Wir wollen jetzt ein echtes Konzept entwickeln. Teilweise werden wir dafür das vorhandene Gutachten zu Rate ziehen. Wir wollen versuchen, die Bäder unter einer Trägerschaft zusammenzuführen. Wir hoffen, dass wir bis zum Herbst eine Vorlage für die Politik auf den Weg gebracht haben.
Kann sich Hildesheim das Freibad Jo-Wiese in der jetzigen Form noch leisten oder wollen Sie es schließen?
Ich bin für alle Lösungen offen. Aber ich fürchte, dass das Jo-Bad in der jetzigen Konstruktion, etwa mit der Beheizung des Wassers, nicht zu halten ist. Wir werden da wirklich sparen müssen.
Alle Maßnahmen sollen dazu führen, dass die Stadt 2025 immerhin erstmals einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen kann. Wenn alles glatt läuft. Auf welche Faktoren haben Sie keinen Einfluss?
Das ist zum einen die Gewerbesteuer und zum anderen sind dies die Soziallasten. Da gibt es für uns nur ganz geringe Möglichkeiten, einzuwirken. Bei den Sozialleistungen etwa ist die Höhe vorgeschrieben und wenn es die Fälle gibt, sind sie schlicht und ergreifend zu finanzieren. Die Gewerbesteuer müsste auf andere Füße gestellt und als planbare Größe dauerhaft ausgestaltet werden.
Wie könnte das aussehen?
Dass man zum Beispiel die freien Berufe mit einbezieht, was 2002 schon mal beraten worden ist. So wie jetzt ist die Gewerbesteuer für uns eine Katastrophe: Sie ist nicht planbar und so schwankend, dass man nicht effektiv gegensteuern kann.
Ist die Vermarktung der Gewerbeflächen denn richtig angegangen worden?
Auch da ist uns die Wirtschaftskrise dazwischen gegrätscht. Lange hatten wir keine qualitativ hochwertigen Gewerbeflächen, nun haben wir sie am Glockensteinfeld – aber zeitgleich brach die Krise über uns herein und die Unternehmen haben ihre Investitionen auf Eis gelegt. Es liefen und laufen weitere Gespräche und inzwischen haben wir auch zwei weitere, kleinere Grundstücke verkauft. Wir sind guter Hoffnung, dass wir in diesem Jahr noch weitere verkaufen.
Ihr Konzept sieht auch vor, dass die Stadttöchter GBG, Sparkasse und Stadtwerke mehr Gewinn an die Stadt abführen – die Stadtwerke allein 650.000 Euro mehr als zuletzt. Gefährden Sie damit nicht die derzeit starke Position des Unternehmens am Markt?
Wir besprechen das mit unseren Töchtern. Unsere Vorschläge sind moderat und vertretbar, allerdings politisch noch zu diskutieren. Die wirtschaftliche Schlagkraft und die Stellung am Markt gefährden wir dadurch nicht. Wenn es der Mutter schlecht geht, müssen die Töchter auch mal einspringen. Wenn wir von den Bürgern verlangen müssen, mehr Grundsteuern zu zahlen, können wir auch von den Tochterunternehmen einen Beitrag einfordern.
Sie sind als Finanzdezernentin eine Mangelverwalterin: Ist die Arbeit nicht frustrierend – oder kann Sparen auch Spaß machen?
Ich finde ja. Es ist eine große Herausforderung, ein Schiff auf Kurs zu bringen, das derartig am Schlingern ist. Es ist nach wie vor eine interessante Aufgabe – interessanter, als nur das Füllhorn auszuschütten.
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