Umfrage: Sind Hartz-IV-Sätze für Kinder verfassungswidrig?

KEHRWIEDER-Umfrage zum Urteil des Bundessozialgerichtes, u.a. bei der GRÜNEN Bundestagsabgeordneten Brigitte Pothmer.

KEHRWIEDER-Umfrage zum Urteil des Bundessozialgerichtes

(Quelle: Kehrwieder am Sonntag, 01.02.09) Hildesheim/Landkreis Hildesheim. Im Juli 2008 fragte der KEHRWIEDER die drei Hildesheimer Bundestagsabgeordneten, ob der Hartz-IV-Regelsatz für Kinder nicht zu niedrig bemessen sei. Auslöser war die Debatte über Beihilfen für Schulmaterialien, weil Bildungskosten im Regelsatz praktisch nicht vorgesehen sind. Alle Politiker waren sich einig, dass Bildung nicht von der sozialen Herkunft abhängig sein darf und nachgebessert werden muss.

Am Dienstag hat nun das Bundessozialgericht die Hartz-IV-Sätze für Kinder für verfassungswidrig erklärt. Der Gesetzgeber habe es versäumt, den genauen Bedarf zu ermitteln, urteilten die Kasseler Richter. Es sei unzulässig, den Satz für die unter 14-Jährigen willkürlich auf 60 Prozent des Erwachsenen-Regelsatzes (211 Euro im Monat) abzusenken. Entscheiden muss jetzt das Bundesverfassungsgericht. Der KEHRWIEDER fragte erneut bei den Bundestagsvertretern nach, was sie von dem Urteil halten und wie die Politik reagieren sollte.

Brigitte Pothmer (Bündnis 90/Die Grünen):

Die Entscheidung des Bundessozialgerichts ist richtig. Es ist ein Skandal, dass Kinder, die auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind, noch nicht einmal drei Euro pro Tag für Essen und Trinken erhalten. Kinder sind nicht einfach kleine Erwachsene, sondern haben andere Wünsche und Bedürfnisse. Kinder wachsen, brauchen Schulsachen – und öfter mal ein Eis.

Darum muss es für Kinder eine eigene Bedarfserhebung und einen eigenständigen Regelsatz geben. Die im Konjunkturpaket II vorgesehene Erhöhung der Leistung für 6- bis 13-Jährige um zehn Prozent ist willkürlich, unzureichend und beseitigt das Grundproblem nicht.

Bernhard Brinkmann (SPD):

Das Bundessozialgericht bestätigt mit seinem Urteil die Einschätzung der SPD, dass das Sozialgeld für Kinder von Empfängern von Arbeitslosengeld II und die Sozialhilfe für Kinder stärker nach dem Lebensalter differenziert werden muss. Dies ist und war für meine Partei ein wichtiger Punkt in den Verhandlungen zum Konjunkturpaket II.

In diesem Paket ist vorgesehen, die Regelsätze für Kinder stärker zu differenzieren und sie für Kinder im Alter von 6 bis 13 Jahren mit Wirkung vom 1. Juli 2009 auf 70 Prozent des Eckregelsatzes zu erhöhen. Konkret bedeutet dies 35 Euro mehr im Monat. Dies ist ein Erfolg für die Menschen, deren Budget besonders eng ist. Gerade Schulkinder und ihre Eltern sind mit steigenden Ausgaben konfrontiert, weil auf Landesebene von der CDU/FDP-Regierung die Lernmittelfreiheit abgeschafft und wegen längerer Unterrichtszeiten immer häufiger in der Schule zu Mittag gegessen wird.

Ich setze mich weiter dafür ein, die Bestimmung der Kinderregelsätze auf eine neue Basis zu stellen. Die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 wird zurzeit ausgewertet. Bei der Auswertung müssen Kinderbedarfe besser erfasst werden. Entscheidend ist dabei aber nicht der eigene Kinderregelsatz, sondern die zutreffende Berücksichtigung der Kinderbedarfe.

Was ändert sich noch: Mit dem Konjunkturpaket I haben wir ein Schulbedarfspaket eingeführt. Für Kinder und ihre Familien bedeutet dies, dass sie zusätzlich 100 Euro pro Schuljahr bekommen. Mit dem Konjunkturpaket II wird weiter für jedes Kind einmalig ein Betrag von 100 Euro gewährt. Dieser wird nicht auf das Arbeitslosengeld II und die Sozialhilfe angerechnet.

Eckart von Klaeden (CDU):

Das Urteil enthält keine Aussage darüber, ob die bisherigen Regelsätze für Kinder bis zu 14 Jahren zu niedrig sind, sondern es kritisiert, dass der Regelsatz für diese Altersgruppe nicht das Ergebnis einer sorgfältigen Prüfung altersspezifischer Ausgabebelastungen darstellt. Im Klartext: Der rot-grünen Bundesregierung, die im Jahre 2003 die Regelsatzverordnung erlassen hat, wird bescheinigt, willkürlich anstatt an sachlichen Kriterien sich orientierend die Kinderregelsätze festgesetzt zu haben.

Die Politik hat bereits vor dem Urteil des Bundessozialgerichts reagiert. Die CDU-geführte Bundesregierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel hat auf eine entsprechende Forderung des Bundesrates vom 23. Mai 2008 das Statistische Bundesamt prüfen lassen, ob auf der Basis der dem geltenden  Regelsatz zugrunde liegenden Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2003 der spezielle Bedarf für Kinder ermittelt werden kann.

Das Ergebnis dieser Prüfung liegt nun vor: Kinder sollen zur Bemessung des angemessenen Regelsatzes nicht mehr nur in die Altersgruppen 0 bis 13 Jahre und 14 bis 17 Jahre, sondern in drei Altersgruppen aufgeteilt werden, nämlich in die Gruppen 0 bis 5 Jahre, 6 bis 13 Jahre und 14 bis 17  Jahre. Hieraus hat die Bundesregierung abgeleitet, dass für die mittlere Altersgruppe der 6- bis 13-jährigen ein Regelsatz von 70 Prozent des  Eckregelsatzes für Erwachsene gewährt werden soll. Auf der Basis des derzeit geltenden Eckregelsatzes von 351 Euro im Monat steigt die Leistung für die begünstigten Kinder um rund 35 Euro von 211 auf 246 Euro im Monat. Davon würden etwa 820.000 Kinder profitieren. Die große Koalition beabsichtigt, diese Verbesserungen mit dem zweiten Konjunkturpaket zum 1. Juli dieses Jahres in Kraft zu setzen.

Ich hoffe, dass die nun angestrebte Regelung durch die Erhebungen des Statistischen Bundesamtes soweit abgesichert sind, dass sie einer erneuten Überprüfung durch die Gerichte standhält.

Kategorie

Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik

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