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Kindesmisshandlung: Neues Gesetz verschafft Jugendämtern mehr Pflichten und Ärzten mehr Rechte / Lob vom Kinderschutzbund
(Quelle: Hildesheimer Allg. Zeitung, 24.01.09) Hildesheim. Verwahrlost, verhungert, verprügelt – der Aufschrei ist immer groß, wenn wieder ein neuer Name für Kindesmisshandlung bekannt wird. Um Fälle wie Lea-Sophie oder Kevin künftig besser zu verhindern, gibt es jetzt ein neues Kinderschutz-Gesetz.
Warum hat keiner etwas gemerkt? Bei der Suche nach Schuldigen wird häufig das Jugendamt genannt. Doch die Arbeit der Mitarbeiter ist oft eine Gratwanderung. Holen sie ein Kind aus der Familie, werden sie schnell als böse Behörde gebrandmarkt. Greifen sie zu spät ein, stehen sie ebenfalls am Pranger. Diese Gratwanderung fördert eher eine Atmosphäre der Verunsicherung und manchmal des Vertuschens.
"Das neue Gesetz schließt eine Lücke, die real noch bestanden hat", sagte gestern Renate Pischky-Winkler, Bereichsleiterin für Jugend und Familie bei der Stadt. Die Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Hebammen und Pädagogen werde dadurch erleichtert. Ziel des Gesetzes ist ein anderer Umgang der Jugendämter mit möglicherweise gefährdeten Kindern. Sozialarbeiter müssen diese Familien fortan persönlich besuchen, um sich einen unmittelbaren Eindruck zu verschaffen, dürfen sich nicht mit Ausreden abwimmeln lassen. Nur nach Aktenlage zu entscheiden, ist nicht mehr rechtens. "Bei uns gibt es diese Absprache schon seit dem vergangenen Jahr", ergänzt die Bereichsleiterin.
Kommt durch das Gesetz ein höherer Aufwand an Personal und Bürokratie auf das Jugendamt zu? Das kann die 54-Jährige noch nicht abschätzen. Allerdings: Da auch das sogenannte Jugendamt-Hopping unterbunden wird, können nun Informationen schneller ausgetauscht werden. Bislang konnten sich Familien durch Umzüge unerwünschten Kontrollen entziehen. Beim Wechsel des Wohnortes muss die Behörde jetzt ihre Nachfolgerin informieren, Akten zusenden und "Übergabegespräche" führen. "Das kann die Arbeit sehr verkürzen, weil nicht jeder wieder von vorne anfangen muss", sagt Pischky-Winkler.
Der Schutz des Kindes steht nach der reformierten Regelung sogar über der Schweigepflicht. Das bedeutet, wenn Ärzte in der Sprechstunde einen Verdacht auf Verwahrlosung oder Misshandlung haben, dürfen sie das Jugendamt oder auch die Polizei informieren – auch ohne Einverständnis der Eltern.
Dr. Bernd Dieter Fenne, langjähriger Kinderarzt in Hildesheim, hält diesen Vorstoß für sinnvoll. "Bei jeder Vermutung kann man handeln, ohne gleich einen Gesetzesverstoß zu begehen." Bislang durften Ärzte ihre Schweigepflicht nur brechen, wenn akut Gefahr bestand. Der 60-Jährige hat im Schnitt einmal pro Woche so "ein Bauchgefühl", dass mit diesem Kind nicht alles gut läuft. "Da hakt man eben nochmal nach."
Oft sei zunächst ein Gespräch mit Eltern richtig, auch untereinander stehen die Kollegen in regem Kontakt, sagt Fenne, Obmann der Hildesheimer Kinderärzte. Gesetzlich nicht festgeschrieben wurde dagegen der Austausch von Daten. Neu ist jedoch, dass jeder ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen muss, der mit Kindern und Jugendlichen beruflich arbeitet: Bademeister, Hebammen, Hausmeister oder Aushilfen. So soll sichergestellt sein, dass sie nicht wegen Sexualdelikten vorbestraft sind.
"Großer Schritt in die richtige Richtung", so beurteilt Dieter Peschel das neue Gesetz. Der Hildesheimer Vorsitzende des Kinderschutzbundes geht jedoch noch weiter und fordert, Rechte für Kinder auch im Grundgesetz festzuschreiben. Gesellschaftlich gesehen haben sie oft noch nicht den nötigen Stellenwert. Der 57-Jährige belegt das mit einem ironischen Blick auf das neue Konjunkturpaket, das für Kinder 100 Euro, für verschrottete Autos dagegen 2500 Euro vorsieht.
"Gerade Kinder aus Hartz-IV-Familien kommen oft viel schlechter weg." Beispiel: Das gerade erhöhte Kindergeld werde den Eltern gleich wieder gegengerechnet und Steuervorteile über den Kinderfreibetrag können lediglich gut situierte Familien nutzen. "Da gibt es noch eine Menge zu tun."
Mehr zu dem neuen Gesetz für Kinder- und Jugendschutz auf der Internetseite des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unter www.bmfsfj.de.
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