Rechte "Kameraden" unter Beobachtung

Eigentlich sind es gute Zahlen, die der Verfassungsschutz in dieser Woche in Sachen Rechtsextremismus vorgelegt hat: Das rechte "Personenpotenzial" im Land ist von 2195 auf 2045 gesunken, NPD und Subkultur verzeichnen Abgänge. Die Freien Kameradschaften der Neonazis haben hingegen Zulauf – zwei von ihnen haben die Verfassungsschützer im Bereich Hildesheim ausgemacht.

Die Region Hildesheim taucht erneut wegen Neonazis im Verfassungsschutzbericht auf / Zahl der Straftaten konstant

(Hildesheimer Allg. Zeitung, 08.04.11) Hildesheim. Eigentlich sind es gute Zahlen, die der Verfassungsschutz in dieser Woche in Sachen Rechtsextremismus vorgelegt hat: Das rechte "Personenpotenzial" im Land ist von 2195 auf 2045 gesunken, NPD und Subkultur verzeichnen Abgänge. Die Freien Kameradschaften der Neonazis haben hingegen Zulauf – zwei von ihnen haben die Verfassungsschützer im Bereich Hildesheim ausgemacht. Einen Anstieg der Straftaten "von rechts" hat es in der Region aber nicht gegeben, sagt die Hildesheimer Staatsanwaltschaft.

Es sind "alte Bekannte", die die Region zu einem der Beobachtungsschwerpunkte der Verfassungsschützer machen. Da ist vor allem die "Kameradschaft Hildesheim" um den derzeit in Nordstemmen lebenden Neonazi Dieter Riefling. Riefling hatte im Juni vergangenen Jahresmehr als 600 Gesinnungsgenossen für einen Aufmarsch nach Hildesheim gelotst, mehr als erwartet und damit ein Renommee-Gewinn für den bundesweit bei Neonazi- Aufmärschen aktiven Hildesheimer. Zu seinem direkten Umfeld rechnet die Hannoveraner Behörde 20 Personen, überwiegend Mitläufer.

Das gilt allerdings nicht für Rieflings Frau Ricarda. Die 27-jährige Coppengraverin, schon länger bundesweit im "Ring Nationaler Frauen" aktiv, ist inzwischen Vorsitzende des NPD-Unterbezirks Oberweser. Am Beispiel des Ehepaars Riefling, so der Verfassungsschutz, kann man geradezu typisch das Vorgehen der Rechten Szene erkennen: "Ohne die Mobilisierung durch die Neonazis hat die NPD kaum eine Chance, öffentlich wahrgenommen zu werden", sagt Wolfgang Freter, Leiter des Fachbereichs Rechtsextremismus.

Diese "Vernetzung" erstreckt sich offenbar auch auf die zweite, vom Verfassungsschutz angeführte Freie Kameradschaft: die Hildesheimer "Bürgerinitiative für Zivilcourage" (BfZ), jenes seit Jahren bestehende Internet-Bündnis, für deren Flugblätter ehedem Dieter Riefling verantwortlich zeichnete. Zuletzt tauchte dann der bekannte Hamburger Neonazi Christian Worch als Verantwortlicher auf den Flugblättern der Truppe auf, als esumden vermeintlichen Kampf um den Erhalt der Agnes-Miegel-Straße in Ochtersum ging. Ein Thema, um das sich im Internet teils wortgleich übrigens auch Ricarda Rieflings NPD "sorgt".

Der Verfassungsschutz charakterisiert die "Bürgerinitiative", die nahezu identische Internet-Seiten zum Beispiel auch in Wolfsburg betreibt, als "geistig beweglichere Rechtsextreme", die schnell auf öffentlich diskutierte Themen "aufsatteln". Das müsse nicht nur Agnes-Miegel sein, sagt Maren Brandenburger, die Sprecherin des Landesamtes. "Gegen Kinderschänder, gegen Globalisierung und die EU, gegen den Islam, für Umweltschutz – all das sind Themen, die den Rechtsextremen ins Konzept passen", erklärt Brandenburger. "Verglichen mit den Zugriffszahlen auf Seiten mit rechtsextremer Musik von Skinhead-Bands ist der Erfolg der BfZ-Seiten aber überschaubar", ergänzt Wolfgang Freter.

Gerade im Hinblick auf die Verbreitung von rechtsextremistischer Musik und anderem Propaganda-Material behält der Verfassungsschutz auch zwei Versandhändler im Auge. Die Unternehmen aus Diekholzen und Sibbesse werden im aktuellen Jahresbericht erwähnt, das Sibbesser als bedeutenderes der beiden. "Für die bundesweite Szene spielen sie aber keine herausragende Rolle", sagt Freter. Das gilt auch für die selbsternannte Exilregierung "Deutsches Reich" um den Hildesheimer Norbert Schittke. Der Verfassungsschutz stuft sie als rechtsextrem ein, weil sie den Fortbestand des Deutschen Reichs mit ihrem "Regierungsapparat" zu sichern sucht – der Widerhall in der Szene sei aber verschwindend gering.

Einen Anstieg der Ermittlungsverfahren wegen Straftaten mit rechtsradikalem Hintergrund hat es im Landgerichtsbezirk Hildesheim nicht gegeben, sagt Bernd Seemann, der Sprecher der Staatsanwaltschaft. In den vergangenen Jahren hatte das Sonderdezernat im Schnitt 100 Fälle zu bearbeiten, im Jahr 2010 waren es 90. Die Zahl aller Verfahren – einschließlich linksextremer und anderer politisch motivierter Taten – lag bei 190.

Laut Seemann gibt es im Bezirk etwa zehn Neonazis, die in den zurückliegenden zehn Jahren wiederholt aufgefallen sind. Einer davon, ein Mann aus dem Bereich Gifhorn, wurde im vergangenen Jahr zu einer Haftstrafe verurteilt. Er war einer von 50 Angeklagten, die sich im Vorjahr vor Gericht wegen rechtsextrem motivierten Straftaten verantworten mussten. Auch diese Zahl lag in den vergangenen Jahren um rund 15 Verfahren höher.

In Jahren mit Neonazi-Aufmärschen und Gegendemos steigt die Zahl der Ermittlungen wegen politisch motivierten Straftaten generell an, sagt Seemann. Allerdings betreffe das weniger die rechtsextremen Umzüge ("Da kommt nur Geplänkel"), sondern die bürgerlichen und linken Gegendemonstrationen.

Der Großteil der sogenannten "Propagandadelikte" mit rechtem Hintergrund wird von Schülern verübt. Hakenkreuzschmierereien etwa. "Die Masse ist nicht politisch motiviert, will sich nur cool geben. Wenn man nachfragt, kommt nur wirres Gestammel", bringt es Seemann auf den Punkt. Folgenlos blieben "Hitler- Grüße" und rechte Kritzeleien aber nicht: "Das ist nach der Anhörung beim Richter am Ende immer mit Elterngesprächen und Auflagen verbunden – manchmal lassen wir die Jugendlichen einfach nur sehr unangenehme Aufsätze schreiben..."

Kategorie

Rechtsextremismus

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