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Nach dem Nazi-Aufmarsch ist Prävention wichtiger denn je: der Experte Experte Gerhard Bücker im Interview
Hildesheim. Der Hildesheimer Nazi-Aufmarsch ist vorbei - nun zur Tagesordnung überzugehen, wäre der falsche Weg, meint Gerhard Bücker. Denn der nächste Aufmarsch scheint programmiert. Bücker ist Experte des niedersächsischen Landespräventionsrats und zuständig für die landesweiten Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus. Bücker beobachtet die Naziszene im Land und speziell in der Region Hildesheim seit vielen Jahren. Im Interview mit KEHRWIEDER-Redakteur Jan Fuhrhop kündigt er neue Aufklärungsprojekte an, um junge Menschen von rechtsextremem Gedankengut fernzuhalten - gerade, weil 2011 die Kommunalwahlen anstehen.
KEHRWIEDER: Sie haben die Demonstration der Rechtsextremen am 5. Juni als Beobachter verfolgt. Dieter Riefling hatte 300 Teilnehmer angemeldet, es wurden schließlich mehr als 600. Hat Sie dieser Zuspruch überrascht?
Bücker: Ja, das muss ich sagen. Ich hatte zwar mit mehr als 300 gerechnet. Ich hätte meine Grenze allerdings bei 400, maximal 500 Personen gesetzt. Deshalb, weil andere rechte Veranstaltungen wie der NDP-Parteitag in Bamberg und der Sachsentag liefen.
Was bedeutet diese hohe Mobilisierung für die Naziszene und für die Stellung Dieter Rieflings im Speziellen?
Man muss leider konstatieren, dass es für den Augenblick ein szeneinterner persönlicher Erfolg der Rieflings ist - Dieter Rieflings Frau Ricarda schließe ich da mit ein. Sie wollten sicher zeigen, welche Möglichkeiten sie tatsächlich haben. Das sehen wir mit Sorge, gerade in Hinsicht auf die Kommunalwahl 2011, weil zu vermuten ist, dass einer der beiden wieder kandidiert. Der andere Aspekt ist, dass sich nach der Demo vom 5. Juni die so genannten freien Kräfte und Autonomen Nationalisten der rechten Szene leider als Gewinner fühlen können. Auffällig war auch, dass die JN, die Jungen Nationaldemokraten, mit Transparenten und Rednern vertreten waren. Dies ist ein Aspekt, den man beachten muss.
Wie sind die "Jungen Nationalisten" einzuordnen?
Sie bezeichnen sich als Jugendorganisation der NDP. Aber inwieweit sie mit den alteingesessenen NPD-Leuten konform gehen, ist von Ort zu Ort unterschiedlich. Es gibt seit längerer Zeit Bestrebungen, JN-Stützpunkte in den Bundesländern aufzubauen. Die Aktivisten sind jüngere Leute, älter als 20 und jünger als 30, die versuchen, eine Struktur in die Szene zu bringen und sie gleichzeitig unter dem Segel "JN" auf "jung, modern und national" zu trimmen. Dass versuchen die JN-Vertreter offensichtlich auch in Niedersachsen. Und wenn sie nun offensiv bei Demonstrationen wie der in Hildesheim mitlaufen, ist das etwas Neues. Das hat es so vor zwei, drei Jahren nicht gegeben.
Sie haben die Kommunalwahl 2011 angesprochen: Ricarda und Dieter Riefling haben in der Vergangenheit bereits bei mehreren Wahlen für die NPD kandidiert. Lassen sich denn mit Aufmärschen wie dem am 5. Juni Wähler mobilisieren, obwohl die Demo praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit abläuft?
Es ist nicht generell so. Aber einige Aktionen vor den niedersächsischen Landtagswahlen und vor den Bundestagswahlen haben gezeigt, dass es durchaus solche Effekte gibt: Wenn ein Kandidat in "seinem" Wahlkreis vor der Wahl eine Demonstration oder eine Kundgebung hatte, bekam er in einigen Fällen hinterher mehr Erststimmen als die Kandidaten, die keine solchen einschlägigen Aktionen organisiert hatten.
Man kann also davon ausgehen, dass es vor den Landtagswahlen noch eine Veranstaltung von Rechtsextremen geben wird, falls Rieflings erneut kandidieren?
Es ist naheliegend, dass sie es noch einmal versuchen.
Sie beraten Vereine, Verbände und Kommunen beim Umgang mit Rechtsextremismus. Hat die Stadt Hildesheim richtig gehandelt, als sie vor der Demo auf ein Verbot verzichtete?
Wir sind eine landesweit agierende Einrichtung, mischen uns daher in regionalpolitische Diskussionen grundsätzlich nicht ein.
Die Teilnehmer und Redner der Demo haben sich auf Bannern und verbal ganz offen demokratiefeindlich geäußert. War dies alles tatsächlich noch vom demokratischen Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt?
Alles, was dort gesagt wurde, kann einem echten Demokraten nicht gefallen. Und vieles, was dort gesagt wurde, war für mich und meine Kollegen in der Beratungsstelle hart am Rande von Straftatbeständen. Ob es für Ermittlungsverfahren reicht, müssen andere entscheiden. Ich bin mir sicher, dass das von den entscheidenden Stellen ganz konkret begutachtet wird und gegebenenfalls entsprechende Ermittlungsverfahren eingeleitet werden. Mir persönlich ist übel geworden bei dem Transparent mit der Aufschrift "Demokraten bringen uns den Volkstod". Das ist äußerst grenzwertig. Rechtlich bewerten müssen dies aber andere.
Die Zersplitterung der rechtsextremen Szene in Parteien und autonome Gruppierungen war bisher ein Glück für die Demokratie: Bekommt die Bedrohung von Rechts nun angesichts der angekündigten Fusion von NPD und DVU sowie der engeren Kooperationen der "Kameradschaften" eine neue Qualität?
Als Bedrohung würde ich das noch nicht sehen, mit diesem Begriff muss man vorsichtig sein. Egal ob NPD und DVU verschmelzen oder nicht - es ist festzustellen, dass beide Parteien einen deutlichen Mitgliederschwund hatten, speziell in den letzten eineinhalb Jahren und insbesondere die DVU. In der Landesentwicklung spielt die DVU schon seit Jahren eine zunehmend randständige Rolle. Ob die DVU in Niedersachsen wirklich noch die Strukturen hat, die sie im Internet vorgibt zu haben, dass darf sehr bezweifelt werden. Der so genannte Deutschland-Pakt von NPD und DVU, den es ja schon einmal gab, hatte auch keine langfristigen Erfolge für die Parteien. Ich beobachte die Szene sehr, sehr aufmerksam, halte sie aber nicht für "bedrohlich" in dem Sinne, dass demokratische Grundelemente gefährdet sind.
Was ist mit den freien Gruppen jenseits der Parteien?
Die Aufmärsche jüngerer Zeit zeigen, dass es in der Szene der jüngeren, freien Gruppen weiterhin eine Zerrissenheit und Auffassungsunterschiede gibt. Bei der Hildesheimer Demo etwa hat offensichtlich eine ganz bedeutende "Kameradschaft" gefehlt, die Snevern Jungs aus Schneverdingen. Man kann aber auch feststellen, dass ein großer Teil der Teilnehmer an der Hildesheimer Demo auf der Suche nach Identifikation ist. Solche Aufmärsche nutzen kurze Zeit etwas im Sinne des Zusammenhalts der rechten Szene. Wenn sie aber beim nächsten Mal irgendwo anders nicht zum Zuge kommen, weil sie blockiert werden oder die Veranstaltung verboten wird, kann sich die Identifikation auch ganz schnell wieder auflösen.
Sehen Sie die Gefahr, dass sich in Niedersachsen freie Nazi-Gruppen ähnlich wie rechtsextreme Milizen in den USA paramilitärisch organisieren und bewaffnet gegen ihre Gegner vorgehen?
Einzelpersonen mit verwirrten und militanten Ideen gab und gibt es immer - gleich, aus welcher extremistischen Ecke. Aber die Gefahr, dass sich gewalttätige, bewaffnete Gruppierungen bilden, sehe ich zurzeit nicht. Ich bin mir sehr sicher, dass die entsprechende Szenerie sehr aufmerksam beobachtet wird. Wenn ich sage aufmerksam, schließt das alle Facetten ein. In den USA ist unter anderem auch die Gesetzgebung eine andere: Da können diese Leute auch mit Hakenkreuzflaggen aufmarschieren und ganze Absätze aus dem NSDAP-Programm aufsagen, ohne dass sie rechtlich belangt werden.
Nach der Demo ist leider vor der Demo - weitere Nazi-Aufmärsche in Hildesheim scheinen programmiert, wenn es keine Verbote gibt. Welche Mittel empfehlen Sie im Kampf gegen den Rechtsextremismus - läuft hier in der Region schon genug Präventionsarbeit?
Wir haben mit den örtlichen Präventionsfachkräften schon vor einiger Zeit Kontakt aufgenommen. Ich schließe da ausdrücklich den Landkreis mit ein, in dem die Wohnorte der Rieflings und anderer bekannter Rechtsextremisten liegen. Es gab ja auch das ein oder andere Skinheadkonzert im Landkreis. Wir bieten unsere Unterstützung bei der Aufklärungsarbeit offensiv an. Wir werden ab Spätsommer mit Lehrern, Erziehern, Sozialarbeitern und Vereinsvertretern sprechen und sie für das Thema Rechtsextremismus sensibilisieren. Es geht zum Beispiel darum, den richtigen Umgang mit den jungen Rechtsradikalen zu lernen, mit denen man noch reden kann. Wir beraten aber nicht nur Vereine, Verbände und Gemeinden, sondern auch Eltern, deren Kinder in die rechte Szene abrutschen und Hilfe und Ratschläge brauchen. Das sind oft sehr schwierige Fälle. Für all diese unterschiedlichen Ansätze der Präventionsarbeit im Themenfeld Rechtsextremismus stehen im Land fast 50 Experten zur Verfügung.
Passiert es noch zu selten, dass Ihre Hilfe in Anspruch genommen wird?
Das Interesse an Beratung hat zugenommen und ist weitaus ausgeprägter als in anderen Bundesländern. Immer mehr wollen immer weniger unter den Teppich kehren. Es gibt aber immer Luft nach oben. Manchmal würden wir es uns schon wünschen, dass Landkreise und Gemeinden sich eher an uns wenden. Wir sind aber auch schon von uns aus tätig geworden.
Glauben Sie, Sie könnten Teilnehmer der Hildesheimer Rechts- Demo mit Argumenten erreichen?
Unser Ansatz ist: Jede Seele, die gerettet werden kann, soll gerettet werden. Ich behaupte kühn: Von den knapp 650 Teilnehmern in Hildesheim gibt es 20 Prozent, mit denen ich über Demokratie nicht mehr sprechen würde und könnte. Das würde keinen Sinn mehr machen. Aber die überwiegende Masse ist durchaus rückholbar - wenn man zum Beispiel mit ihnen allein oder im kleinen Kreis sprechen kann. Und das versuchen wir. Es gibt viele junge Menschen, die mir eigentlich leid tun, dass sie da mitrennen, weil sie meinen, da würden sie Zusammenhalt erfahren. Dabei können sie leider nicht erkennen, dass sie den falschen Pferden folgen. Dort lohnt es sich, tätig zu werden.
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