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Freie Träger protestieren gegen neuen Stundensatz / Stadt und Landkreis weisen Vorwürfe zurück
(Hildesheimer Allg. Zeitung, 21.07.11) Hildesheim. Konflikte nach Scheidung oder Arbeitslosigkeit, verhaltensauffällige Kinder, überforderte Eltern: Gibt es in Familien ernste Probleme, ist die Kinder- und Jugendhilfe gefragt. Mit ambulanten Angeboten sorgt ein Tross von Psychologen, Pädagogen und anderen Mitarbeitern dafür, dass die Kinder ihr Elternhaus nicht verlassen müssen und in Heimen untergebracht werden.
Doch ihre Arbeit sei durch die Sparmaßnahmen von Stadt und Landkreis bedroht, sagen die Freien Träger. Bislang handelten sie ihre Stundensätze individuell aus, doch nun geben Stadt und Landkreis einen neuen Stundensatz vor, den sie den ambulanten Trägern in der Jugendhilfe künftig zahlen wollen. 43,93 Euro in der Stadt, im Landkreis 45,03 Euro – und damit für viele der Einrichtungen unter dem, was sie bisher bekommen haben.
Zu wenig für Caritas, Pro Kids, Fuchsfährte und die Jugendhilfe Bockenem. "Das trifft uns wie ein Knüppel ins Kreuz", sagt Dietmar Pabsch, Geschäftsführer von Pro Kids. "Wir haben bereits knapp kalkulierte Sätze, seit 2002 haben wir nicht erhöht", beklagt der Sozialpädagoge. Durch den neuen, verringerten Stundensatz sieht er die Existenz seiner Einrichtung bedroht. Vier Euro pro Stunde bekommt er jetzt im Vergleich weniger als vorher. "Wir haben allein jährliche Fahrtkosten von etwa 4300 Euro." Weiterer Knackpunkt: Jeder Mitarbeiter solle nach dem Verständnis der Stadt zu fast 100 Prozent ausgelastet sein. Für Pabsch nicht nachvollziehbar: "Keine Firma kalkuliert mit einer vollen Auslastung, ein gewisser Spielraum ist immer nötig." Er sieht sich auf den Kosten sitzenbleiben, wenn ein Mitarbeiter länger erkrankt und die Krankheitstage für die gesamte Einrichtung verbraucht.
Sorgen um die Zukunft ihrer Einrichtung machen sich auch Susanne Fuchs von der Jugend- und Familienhilfe Fuchsfährte und Ulrike Grund von der evangelischen Jugendhilfe Bockenem. Während sich Fuchs gezwungen sieht, demnächst Arbeitsräume abzugeben, spielt Grund mit dem Gedanken, Stellen abzubauen. "Keine Frage, auch wir müssen sparen", findet Fuchs. Es ärgert sie aber, dass die Stadt um die Entwicklung eigener Sparideen gebeten habe, sie dann konkrete Vorschläge gemacht habe, diese aber mit einem Satz abgetan worden seien. Caritas- Chef John Coughlan droht sogar mit einem Rückzug aus der Jugendhilfe. "Die Caritas ist tarifgebunden, die Gehälter sind über die Jahre trotz Tarifsteigerungen gleich geblieben, bei dem neuen Stundensatz steigen wir aus." Qualifizierte Mitarbeiter wie Psychologen, Pädagogen und Therapeuten müssten für ihre Arbeit entsprechend entlohnt werden. Das sei auch im Interesse der Stadt, die durch die langjährige Mitarbeit der ambulanten Träger teure Heimunterbringungen von Kindern und Jugendlichen habe vermeiden können und damit Kosten spare. "Es darf auch nicht dahin gehen, dass immer der billigste Anbieter genommen wird", findet Pabsch.
Sozialdezernent Dirk Schröder weist die Vorwürfe vehement zurück: "In den neuen Stundensätzen sind Tariferhöhungen und Fahrtkosten mit eingerechnet, es handelt sich hierbei um den Betrag, für den Stadt und Landkreis selber arbeiten können." Selbstverständlich könne jeder Anbieter, der tatsächlich höhere Kosten nachweise, diese auch von der Stadt erstattet bekommen. "Es gibt ja auch Träger, denen wir jetzt schon mehr zahlen", sagt Schröder. Abgesehen davon habe die Stadt bereits mit mehreren Anbietern zu den aktuellen Konditionen Verträge abgeschlossen. Das bestätigt auch Sabine Levonen, Fachdienstleiterin des Jugendamtes im Bereich Erziehungshilfe für den Landkreis: "Der pauschale Stundensatz wird den ambulanten Trägern nur dann angeboten, wenn sie nicht bereit sind, uns eine individuelle Kalkulation vorzulegen, also keine Auskünfte über Vergütung ihrer Mitarbeiter und zusätzlich anfallende Betriebskosten erteilen. "Mehr als 50 Prozent der Anbieter, für die der Landkreis zuständig ist, hätten den neuen Stundensatz akzeptiert.
Der Vorwurf, dass der billigste Anbieter zum Zug komme, lässt Levonen so nicht gelten: "Vorrangig spielen fachliche Aspekte eine Rolle." Zu berücksichtigen seien außerdem die Wünsche der betreuten Kinder und Jugendlichen. Von den geeigneten und zur Verfügung stehenden Anbietern werde aber selbstverständlich der mit dem geringeren Entgelt ausgewählt.
Doch nicht nur der Sparkurs sorgt für Unmut bei den Freien Trägern. "Uns wird soviel Misstrauen entgegengebracht", findet Fuchs. Gespräche seien abgebrochen worden, die Atmosphäre sei unterkühlt. Keine Transparenz, keine Kommunikation lautet das Fazit.
"Es stimmt nicht, dass man mit uns nicht reden könne. Und es ärgert mich auch, dass so etwas behauptet wird," schimpft Stadt- Dezernent Schröder. Mit sämtlichen Anbietern sei über den neuen Stundensatz gesprochen worden, unter anderem mit Hilfe eines Mediators. Auch derzeit fänden mit allen Anbietern Einzelgespräche statt. Seit über einem Jahr verhandele der Landkreis mit den Trägern, berichtet auch Levonen. Neben individuellen Gesprächen tausche man sich regelmäßig in der Arbeitsgemeinschaft (AG) Jugendhilfeplanung aus. Zwar habe es infolge einer "unerfreulichen Sitzung" in der AG ein Schlichtungsgespräch mit den Freien Trägern gegeben, in Teilen habe man darin jedoch Übereinstimmungen erzielen können. "Der Stundensatz ist nach dem Gespräch sogar von unserer Seite angehoben worden", berichtet Schröder.
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