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Konflikt mit Landkreis über Statistik zu Widersprüchen / Scholz: "Behörde droht Glaubwürdigkeit zu verlieren"
(Hildesheimer Allg. Zeitung, 02.09.10) Kreis Hildesheim. Zu viele falsche Bescheide, zu viele Widersprüche? Diese Schwächen hält der Landkreis Hildesheim dem Jobcenter vor. Dessen Führung reagiert mit Unverständnis und eigenen Zahlen. Es droht ein längerer Konflikt – zu Lasten derer, die von der Behörde ihr Geld bekommen.
Jobcenter-Chef Horst Gabriel blickt dieser Tage ein wenig neidisch nach Hannover. Seine dortige Amtskollegin Marianne Gersdorf bekam just die Nachricht, der Bund genehmige ihrer Behörde weitere 120 unbefristete Stellen. Damit sind nur 120 von 1400 Stellen ab dem Jahreswechsel noch offen, weniger als ein Zehntel. Gabriel fehlt immer noch die Sicherheit für ein Drittel seiner Mitarbeiter.
Und jetzt gibt es Gegenwind von einer Partner-Behörde. Der Landkreis Hildesheim hat die Ergebnisse eines internen Controllings vorgestellt. Darin heißt es: Rund die Hälfte aller Widersprüche gegen Bescheide des Jobcenters in Sachen Unterkunft und Heizung hat Erfolg – was bedeuten würde, dass entsprechend viele Bescheide falsch sein müssen. Als Ziel hatte der Landkreis formuliert, dass nur 15 Prozent aller Widersprüche berechtigt sein sollten – was von vornherein viel mehr korrekte Bescheide aus der Behörde voraussetzt.
Für Kreisrat Hans-Heinrich Scholz waren diese Zahlen jetzt Anlass zu scharfer Kritik am Jobcenter. "Ich bin höchst unzufrieden", erklärte er im Finanzausschuss des Kreistages. Das Ergebnis sei "sehr ärgerlich". Er plane "ernsthafte Gespräche" mit der Geschäftsführung des Jobcenters. Die solle spätestens im kommenden Frühjahr "grundlegende Reformvorschläge" machen, um die rechtliche Qualität ihrer Bescheide zu verbessern. "Da spielt sich Rechtsstaat ab", schimpfte Scholz. Und zweifelte zwischen den Zeilen deutlich am Sachverstand der Jobcenter-Mitarbeiter: "Eine Behörde, bei der die Hälfte aller Widersprüche Erfolg hat, verliert ihre Autorität und ihre Glaubwürdigkeit."
Überdies monierte Scholz die Arbeitsgeschwindigkeit im Jobcenter. Viele Klagen gegen Bescheide der Behörde hätten schon deshalb Erfolg, weil deren Mitarbeiter in diesen Fällen nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist von drei Monaten auf Widersprüche reagiert hätten. "Das ist natürlich auch höchst unbefriedigend", legte Scholz nach.
Jobcenter-Geschäftsführer Horst Gabriel traute seinen Ohren nicht, als ihn die HAZ mit den Attacken des Kreisrats und den Controlling-Ergebnissen konfrontierte. "Ich höre diese Zahlen zum ersten Mal und weiß auch nicht genau, wie der Landkreis darauf kommt", erklärte er. "Wir haben noch gar keine gemeinsamen Kriterien für ein Controlling erarbeitet." Überdies sei es seiner Behörde gar nicht möglich, aufzuschlüsseln, bei wie vielen Widersprüchen zu Jobcenter-Bescheiden es explizit um Unterkunft und Heizung gegangen sei. "Woher der Landkreis seine Daten hat, kann ich Ihnen allerdings auch nicht sagen."
Dafür legt Gabriel eigene Zahlen auf den Tisch. Demnach verschickt das Jobcenter pro Jahr rund 18 500 Bescheide aller Art und erntet dafür rund 4000 Widersprüche. Die schlüsselt der Geschäftsführer anhand der Zeit von April bis Juni dieses Jahres auf. "Da hatten wir 1000 Widersprüche, 355 davon haben wir auch stattgegeben."
Hieße: Die Erfolgsquote läge bei 64,5 Prozent – besser als die vom Landkreis attestierten 51 Prozent, aber immer noch deutlich schlechter als die erhofften 85. "Da müssen Sie aber die abziehen, die ihre Widersprüche mit neuen Aspekten, etwa bisher fehlenden Dokumenten oder Bescheinigungen, untermauern", betont Gabriel. Da sei zunächst richtig entschieden worden, dann habe es aufgrund neuer Sachlagen eine neue Entscheidung gegeben. "Rechnet man das heraus, lagen wir in 81 Prozent der Widerspruchs- Fälle doch richtig."
Fakt ist aber auch: Allein von April bis Juni wurden vor dem Sozialgericht 303 Fälle abgeschlossen, in denen Kunden gegen das Jobcenter geklagt hatten. Zwar gewann die Behörde in der Mehrheit der Fälle, doch immerhin 41-mal hatte sie tatsächlich mehr als drei Monate lang nicht auf Widersprüche reagiert – für die Betroffenen eine sehr lange Zeit der Unsicherheit.
Jobcenter-Chef Gabriel verweist in diesem Zusammenhang auf die unverändert hohe Belastung der Mitarbeiter. "Wir laufen den Widersprüchen schon hinterher", gibt er zu.
Doch dass ein Drittel der Belegschaft wie berichtet vor einer unsicheren Zukunft stehe, dass aufgrund der hohen Fluktuation ständig neue Kräfte in die komplexe Materie der Sozialgesetzbücher eingearbeitet werden müssten und dass unter solchen Bedingungen auch die Motivation insgesamt leide, sei nicht von der Hand zu weisen.
Horst Gabriel sagt, er stehe mit dem Landkreis in "ständigen konstruktiven Gesprächen". Das nächste Treffen dürfte etwas ungemütlicher werden. Und bis dahin werden im Jobcenter noch mehr Mitarbeiter noch weniger Zeit für die Kunden haben. Schließlich will der Geschäftsführer dem Kreisrat mit vielen belastbaren Zahlen gegenübertreten.
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