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Daniel Cohn-Bendit, EU-Fraktionschef der Grünen, über Wunder in Europa und im Nahen Osten
(Quelle: Hildesheimer Allg. Zeitung, 23.05.09) Hildesheim. Sprecher der Pariser Mai-Revolution 1968, Mitglied der Frankfurter Sponti-Szene und seit 1994 Abgeordneter des Europaparlaments. Die Biografie des Grünen-Politikers Daniel Cohn-Bendit ist alles andere als langweilig. Ganz so wie der Mann. Dieser Zeitung berichtet der ehemalige WG-Gefährte Joschka Fischers von bekannten Visionen für Europa – und revolutionären für den Nahen Osten.
Ein bisschen Revolutionär steckt noch immer in Daniel Cohn-Bendit. Es dauert allerdings etwas länger als früher, bis das zum Vorschein kommt. Seit Monaten betreibt der Vorsitzende der Grünen Fraktion im EU-Parlament Wahlkampf für seine Spitzenkandidatur in Frankreich. Mit Rebecca Harms, Grünen-Spitzenkandidatin der deutschen EU-Liste, besucht er während seiner Tour auch Hildesheim – und gibt sich beim Interview mit dieser Zeitung zunächst zahm.
"Europa basiert auf Wundern, die Menschen geschaffen haben", erklärt der 64-Jährige gelassen und erzählt seine persönliche Geschichte. Von seinen jüdischen Eltern, die vor dem nationalsozialistischen Regime nach Frankreich flohen. Im Jahr 1945 hätten sie den Wegfall der europäischen Grenzzäune nur 50 Jahre später wohl nicht für möglich gehalten. Weil die Überwindung von Hass und Grenzen damals einfach unvorstellbar war.
Neu sind diese Erkenntnisse nicht. Ebensowenig das, was die Grünen für Europa fordern. "Ein soziales Europa, ein ökologisch verantwortliches Europa", zählt Cohn-Bendit auf. Ein Patentrezept, wie er die Europäer dazu bringen will, für diese Ziele zur Wahlurne zu gehen, hat er nicht. "Das weiß niemand – das Problem ist, dass Europa für die meisten Menschen eine abstrakte politische Struktur ist. Und dass wichtige Entscheidungen des EU-Parlaments überhaupt nicht in unsere Öffentlichkeit dringen."
Das lässt sich von der Debatte über den möglichen EU-Beitritt der Türkei nicht behaupten. In der Europapolitik erhitzt das Thema seit langem die Gemüter – und auch bei Cohn-Bendit trifft die Diskussion einen Nerv. "Viele instrumentalisieren diese Debatte. Nett und CDU-mäßig formuliert aus Angst vor Überfremdung – aggressiv linksradikal formuliert aufgrund rassistischer Vorurteile", ereifert sich der Politiker. Den Menschen werde gesagt, mit dem EU-Beitritt der Türkei kämen zu viele Muslime nach Europa. "Da sage ich: zu spät. Es gibt bereits jetzt mehr Muslime in Europa als es Holländer gibt", macht Cohn-Bendit deutlich. Die Menschen müssten sich mit einem europäischen Islam auseinandersetzen und die Debatte um die Türkei gelassener führen. Er selbst schlage in seinen Reden sowieso etwas anderes vor, ergänzt er und lehnt sich über den Tisch.
Plötzlich wirkt Cohn-Bendit hellwach. Er will Israel und Palästina enger an Europa binden. "Machen wir ernst mit einer privilegierten Partnerschaft mit Israel und Palästina", fordert der Politiker und lässt seine Hände durch die Luft sausen. "Aber nur dann, wenn Israel die besetzten Gebiete räumt und wenn Palästina Israel voll anerkennt." Europa habe die ökonomische Möglichkeit und die geschichtliche Pflicht, sich im Nahost-Konflikt einzubringen. "Wir bieten das, was wir in Europa geschaffen haben, die Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich, den Israelis und Palästinensern als Modell", erklärt Cohn-Bendit.
Die Schicksale der Israelis und Palästinenser seien eng miteinander verbunden. Einen Seitenhieb auf den christdemokratischen EU-Parlamentspräsidenten Hans-Gert Pöttering kann sich der Grünen-Politiker nicht verkneifen. "Wenn man das politisch angeht – nicht als Jesus Christus Pöttering, sondern ganz konkret, dann bin ich der Revoluzzer, der Wunder vollbringt."
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