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Ein steter Strom von See zu See / Investition in dreistelliger Millionenhöhe
(Quelle: Hildesheimer Allg. Zeitung, 31.10.12) Freden. Je mehr Wind- und Sonnenenergie in Deutschland produziert wird, desto drängender wird die Frage: Wie lässt sich Strom "aufbewahren" für jene Phasen, in denen der Wind nicht bläst oder die Sonne nicht scheint? Die Speicher-Frage gehört zu den Schlüsselfragen der Energiewende. Einen kleinen Teil der Antwort will der Baukonzern Hochtief im Landkreis Hildesheim liefern - wobei "klein" dabei relativ ist. Hochtief plant bei Freden über seine frisch gegründete Tochterfirma "PSW Leinetal GmbH" den Bau eines riesigen Pumpspeicher-Kraftwerkes und kalkuliert mit Investitionen in dreistelliger Millionen-Höhe.
Klappt alles, könnte das aus zwei großen Seen und einem Riesenrohr bestehende Bauwerk bis zum Jahr 2020 fertig sein - und ein Sechstel der Leistung des Atomkraftwerks Grohnde bringen. Und die Landschaft bei Freden massiv verändern. Die wichtigsten Fragen und Antworten rund um das Projekt:
Wie soll das Pumpspeicher-Kraftwerk aussehen?
Die PSW Leinetal will westlich von Freden zwei neue, bis zu 15 Meter tiefe Seen anlegen: Einen auf dem Höhenzug des Thödingsberges, in der Region eher als Selter bekannt, einen in der Sand-Abbaugrube der Firma Ulrich an der Straße nach Wispenstein. Der obere See soll rund 750 mal 280 Meter groß werden, der untere 450 mal 500 Meter. Beide wären damit größer als der Hildesheimer Hohnsensee (500 mal 250 Meter). Zwischen den beiden Seen - die Planer sprechen von Ober- und Unterbecken - soll eine 900 Meter lange unterirdische Wasserleitung verlaufen. Kurz vor dem Unteren See steht ein Kraftwerk mit Turbinen.
Wie funktioniert die Anlage?
"Das wird eher ein Regler als ein Speicher", sagt PSW-Geschäftsführer Peter Jamin. Tatsächlich wird der Strom nicht wie in einem Akku gespeichert, sondern verbraucht und dann neu erzeugt - um ihn aus dem Netz zu nehmen, wenn das überlastet ist, und ihn wieder einspeisen zu können, wenn Bedarf herrscht. Das Kraftwerk verbraucht Strom, in dem es rund 2,3 Millionen Kubikmeter Wasser durch die unterirdischen Leitungen in den oberen See pumpt. Und es erzeugt Strom, in dem man die Wassermassen durch die Leitung wieder in den unteren See strömen lässt - wobei sie im "Krafthaus" eine oder mehrere Turbinen antreiben und so Strom erzeugen.
Wie viel Strom kann die Anlage produzieren?
"Wir schaffen eine Leistung von 200 Megawatt", erklärt PSW-Mitarbeiter Bastian Görke. Da es ungefähr sechs Stunden dauert, bis der obere See leer und der untere voll ist, entstehen bei einem Durchlauf 1200 Megawattstunden. Wenn das jeden Tag einmal geschieht, kommen rund 438 Millionen Kilowattstunden pro Jahr heraus - das wäre genug für rund 125 000 Haushalte. Das ist aber nur ein Beispiel, je nach Bedarf kann die Anlage auch häufiger oder seltener durchlaufen.
Was bedeutet das im Verhältnis?
Es wäre deutlich weniger als im Kernkraftwerk Grohnde, aber dreimal so viel wie alle Windräder im Landkreis zusammen. Zum Vergleich: Grohnde kommt auf eine Leistung von gut 1360 Megawatt, das Kohlekraftwerk Mehrum auf die Hälfte. Das Pumpspeicher-Kraftwerk brächte es auf 200. Ein einzelnes großes Windrad und der große neue Solarpark bei Freden schaffen nur je rund drei Megawatt.
Welche Rolle spielen Pumpspeicher- Kraftwerke für die Energiewende?
Generell spielen Speichertechniken eine zentrale Rolle: "Derzeit können wir 100 Prozent unseres Bedarfs aus konventionellen Quellen wie Atom oder Kohle decken, die erneuerbaren Energien kommen oben drauf", sagt Peter Jamin. "Auf Dauer macht es aber keinen Sinn, 130 oder 140 Prozent zu produzieren und konventionelle Kraftwerke zeitweise zurückzufahren, um dem Ökostrom den Vorrang zu geben." Stattdessen sollen Speicher dafür sorgen, die Kapazitäten voll auszunutzen. Dabei wäre das Fredener Kraftwerk nur eins von vielen, sollte ein nationales Regler-System entstehen. Es bezöge sich auf das bundesund europaweite Netz - würde also dazu dienen, Strom aus Offshore-Windparks auf dem Weg nach Süden zwischenzuspeichern.
Wie kommt Hochtief auf Freden?
Dort sind eine Reihe von Bedingungen erfüllt: In relativ kurzer Entfernung von knapp einem Kilometer gibt es einen Höhenunterschied von 200 Metern - nördlicher als in Freden lässt sich diese Konstellation selten finden. Erst recht nicht in Kombination mit weiteren wichtigen Aspekten: Es gibt einen Fluss in der Nähe (die Leine), eine Verbindung zum Höchstspannungsnetz (wahrscheinlich bald bei Lamspringe), die Möglichkeit, Grundstücke zu kaufen oder zu pachten und offenbar nur geringe Probleme mit Natur- und Landschaftsschutz.
Wie rechnet sich das Ganze?
Die Investition "in dreistelliger Millionenhöhe", wie es PSW-Geschäftsführer Peter Jamin noch vage formuliert, ist immens. Bei der Finanzierung will der Konzern bewusst auch lokale Banken beteiligen, schließt zudem Bürger-Anleihen nicht aus. Das Geschäftsmodell funktioniert so: Ist viel Strom im Netz, kauft die PSW ihn günstig ein, nutzt ihn zum Hochpumpen - und verkauft später den beim Herunterlassen des Wassers erzeugten Strom teurer weiter. Das Unternehmen hofft dabei besonders, dass bei der Reform des Erneuerbare- Energien-Gesetzes (EEG) noch klarere Bedingungen oder Garantien für Strom aus Pumpspeicher-Kraftwerken herauskommen. Bundesumweltminister Peter Altmaier verfolgt diese Absicht offenbar.
Welche Folgen hätte das Projekt für die Umwelt?
Auf dem Selter soll ein Waldstück dem See weichen. "Allerdings eins, dass durch den Sturm Kyrill ohnehin stark beschädigt wurde, in dem viele Bäume umgestürzt sind", wie Samtgemeindebürgermeister Helmut Wecke betont. "Zudem wird es Ausgleichsmaßnahmen geben", kündigt PSW-Mann Caspar Tillmann an. Der untere See entsteht auf einem bisherigen Abbaugelände.
Und für die Landschaft?
Von Freden aus wären beide Seen nicht zu sehen. Den unteren See können Wanderer vom Berg aus betrachten, den oberen See würde nur der sehen, der direkt am Ufer steht. Die Rohre zwischen beiden Becken sollen, anders als bei älteren Kraftwerken dieser Art, über 900 Meter komplett unter der Erde verlaufen.
Wie kommt der Strom zum Pumpspeicher- Kraftwerk und wieder zurück ins Netz?
Hochtief will seine Anlage an die geplante Höchstspannungsleitung von Wahle nach Mecklar anschließen. Konkret soll das in dem Umspannwerk passieren, das der Netzbetreiber Tennet bei Lamspringe bauen will. Für die Verbindung dorthin plant die PSW Leinetal ein 14 Kilometer langes Erdkabel südlich um Freden herum. "Eine Freileitung wäre einfacher und kostengünstiger, aber wir wissen um den Widerstand in der Bevölkerung gegen solche Projekte", sagt Caspar Tillmann mit Blick auf die umstrittene Trasse Wahle- Mecklar.
Wie kommt das Wasser in die Seen?
Das wird eine große Aktion für sich. Die PSW will 2,3 Millionen Kubikmeter aus der Leine in den unteren See pumpen. Um dabei nicht den Fluss trocken zu legen oder das Ökosystem durcheinanderzubringen, soll das über einen Zeitraum von drei bis sechs Monaten geschehen. Eigens dafür will die PSW ein oberirdisches Rohr von der Leine zum Sandberg errichten - und wieder abbauen, wenn der See vollgelaufen ist. Danach sollen beide Gewässer ein geschlossenes System bilden. "Der Boden wird aus Beton oder mit Kunststoffbahnen wie bei Deponien hergestellt, das ist dann dicht", erklärt Tillmann.
Was hat die Samtgemeinde Freden beziehungsweise der Landkreis davon?
Während der Bauphase sollen bis zu 200 Arbeiter und Ingenieure in Freden Dienst tun. Die müssen irgendwo wohnen, essen und einkaufen. Wenn der Betrieb läuft, wird es aber nur noch eine handvoll Mitarbeiter geben. Aber: Die PSW Leinetal hat zwar (noch) ihre Geschäftsanschrift in Essen, offizieller Firmensitz ist aber Freden, und der Ort soll bald auch tatsächlicher Sitz des Unternehmens werden. Das zahlt in Freden auch seine Gewerbesteuer - nimmt man andere Großkraftwerke zum Maßstab, dürfte das deutlich spürbar werden. Auch wenn die Samtgemeinde Freden in der heutigen Form dann nicht mehr existiert, profitiert eine Nachfolge-Kommune. Freden will sich zudem als "Energieregion" profilieren - schon jetzt ist die Kommune mit Windparks und Solarpark führend im Landkreis. Zudem hofft man vor Ort auf Touristen - auch andernorts locken Pumpspeicher-Kraftwerke technikbegeisterte Wanderer, Radler und andere Tagestouristen an. "Vielleicht bauen wir Aussichtsplattformen, damit Besucher das Schauspiel gut verfolgen können", sagt Caspar Tillmann.
Wie stehen Kommune und Landkreis dazu?
Beide sprechen sich klar für das Projekt aus. "Wenn man die Energiewende will, muss man auch die Voraussetzungen schaffen", sagt Landrat Reiner Wegner. "Hochtief hat die Potenz, ein solch großes Projekt in die Tat umzusetzen." Fredens Samtgemeindebürgermeister Helmut Wecke betont: "Uns hat fasziniert, dass der Blick durch die beiden Becken kaum gestört wird." Das strukturschwache Freden habe die Chance, der Energie- Standort im Landkreis zu werden.
Gibt es in Freden schon Widerstand gegen das Projekt?
Im Schwarzwald etwa werden ähnliche Projekte erbittert bekämpft. In Freden blieben Proteste bislang aus. Hochtief hofft, dass das so bleibt - weil es den Kritikern meist um das Landschaftsbild gehe: "Das wird hier aber wirklich kaum beeinträchtigt."
Welche Verkehrsbelastung droht?
Die großen Lastwagen sollen in der Bauphase möglichst aus dem Ort herausbleiben. "Das, was wir oben an Erdreich abtragen, nutzen wir beim Bau eines Walles rund um das untere Becken", sagt Tillmann. "Wir werden kaum Aushub weiter weg transportieren müssen."
Wie sieht der weitere Zeitplan aus?
Bis 2015 soll es eine Umweltverträglichkeitsprüfung, ein Raumordnungsverfahren (wenn rechtlich nötig) und auf jeden Fall das Planfeststellungsverfahren geben. Vor allem letzteres bietet Kommunen, Institutionen, Verbänden und Bürgern die Gelegenheit für Einwände oder gar Klagen. Danach soll die endgültige Entscheidung über den Bau fallen - wobei die Beteiligten schon jetzt deutlich machen, dass sie das Projekt wollen. Bis 2019 oder 2020 soll dann der eigentliche Bau dauern. PSW kündigt an, die Bürger laufend und umfassend zu informieren. Auftakt ist mit einer großen öffentlichen Veranstaltung am Donnerstag, 8. November, um 18.30 Uhr im Hotel Steinhoff.
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