Enttäuscht, aber nicht entmutigt

Die Enttäuschung ist greifbar. Und sie sitzt tief. Ganz gleich ob in Baddeckenstedt, Holle, Bockenem, Lamspringe oder Freden – seit am Freitag bekannt wurde, dass die neue Mega-Masten-Trasse durch den Ambergau verlaufen soll, richtet sich der Ärger der Menschen im Korridor der geplanten 380 kV-Leitung vor allem gegen die Politik. Ans Aufgeben denken allerdings die wenigsten. Der Widerstand soll weitergehen.

Wie die Menschen an der geplanten 380 kV-Höchstspannungstrasse auf die Entscheidung reagieren

(Hildesheimer Allg. Zeitung, 19.08.11) Kreis Hildesheim/Wartjenstedt. Die Enttäuschung ist greifbar. Und sie sitzt tief. Ganz gleich ob in Baddeckenstedt, Holle, Bockenem, Lamspringe oder Freden – seit am Freitag bekannt wurde, dass die neue Mega-Masten-Trasse durch den Ambergau verlaufen soll, richtet sich der Ärger der Menschen im Korridor der geplanten 380 kV-Leitung vor allem gegen die Politik. Ans Aufgeben denken allerdings die wenigsten. Der Widerstand soll weitergehen.

Zum Beispiel in Luttrum. Es ist Sonnabendvormittag kurz vor 11 Uhr, und Heike Seeland vom Tante-Emma-Laden hat jetzt schon stundenlang erfahren, wie es um die Stimmung im 350-Einwohner-Dorf steht: schlecht. "Wir sind einfach enttäuscht", sagt sie, den Frust haben ihre Kunden beim Brötchenkauf nicht verborgen. Wieso auch? Die Luttrumer haben gemeinsam demonstriert, Plakate gemalt, Pfeile gebaut, sind nach Hannover gezogen, und das in einer Geschlossenheit, die ihres Gleichen sucht. Seit nun bekannt ist, dass die Trasse am Dorf und dem Luttrumer Moor entlangläuft, fürchten die Menschen um ihre Gesundheit und den Wert ihrer Häuser. Mehrfach hat Seeland aber den Satz gehört: "Man darf jetzt nicht aufgeben."

Uli Zobel hat das auch nicht vor. Der gebürtige Ruhrpottler ist einer der Motoren des Luttrumer Protests, am "Morgen danach" bereitet er mit einer ganzen Reihe von Mitstreitern das Teichfest für das kommende Wochenende vor. Ablenkung tut gut, obwohl Zobel, wie er sagt, eigentlich mit der Entscheidung für Trassenvariante 2 quer durch den Ambergau und von Sehlemaus südwärts gerechnet hatte. Anfangs sei man sehr optimistisch gewesen. Nachdem der Widerstand gegen die Trasse durchs Söhlder Kreideabbaugebiet aber überwunden war, sei klar gewesen: "Das war es wohl für uns."

So ganz allerdings nicht. Nach einer Pause zum "durchatmen" wollen die Luttrumer mit Aktionen weiterkämpfen. Ein kuscheliges Planfeststellungverfahren (wohl ab Herbst 2012) wollen die Holler verhindern: "Wir hier werden alle klagen", kündigt Zobel an. Auf die Politiker im Land und im Bund setzt der Luttrumer keine Hoffnung. "Wir sind alleine gelassen worden", sagt er und bringt ein Beispiel. "Ich habe an 25 Politiker aller Parteien aus unserer Region geschrieben – nur zwei haben geantwortet."

Nur wenige Kilometer entfernt, im Baddeckenstedter Ortsteil Wartjenstedt, könnte Landwirt Reinhard Schaare eigentlich aufatmen. Die Trasse soll nun nicht mehr über Wartjenstedter Gebiet, sondern ein paar hundert Meter weiter westlich, eben an Nordassel und Luttrum vorbei geführt werden. Freude stellt sich bei dem engagierten Schaare aber nicht ein. Er vermutet, dass die 380 kV-Leitung als letztes vergleichbares Überland-Projekt gebaut werde, bevor die die Erdverkabelung durchsetze. "Ich hätte der Politik mehr Mut zugetraut, eine Trasse anzuordnen, die mehr Erdverkabelung nötig gemacht hätte – aber die sind vor dem Netzbetreiber TenneT eingeknickt", sagt er. Schaare fühlt sich um ein sinnvolles Ergebnis des Planfeststellungsverfahrens betrogen, da ja doch nur die für den Betreiber günstigste Variante geprüft worden sei: "Ich bin tief enttäuscht von der CDU." Harte Worte von einem Landwirt, der ankündigt: "Das wird für die noch eine zähe Geschichte: Wir werden jegliche Art von Widerstand leisten."

Gleiche Töne kommen auch aus dem 187-Einwohner-Dorf Groß Ilde bei Bockenem. Der idyllisch in einer Senke gelegene Flecken dürfte von der Trasse fast eingekreist werden, keine rosigen Aussichten für Ortsvorsteher Karl-Heinz Hodur und seine Mitbürger. Am Tag nach der Verkündung lenkt er sich mit Rasenmähen ab, sagt:"Als das bei der HAZ gestern Vormittag als Eilmeldung auf der Homepage stand, hat sich das hier verbreitet wie ein Lauffeuer." Er habe von Bewohnern gehört, die ihr Haus verkaufen wollten. Aber für welchen Preis, wo es doch ohnehin schon so viele leer stehende Immobilien in Groß Ilde gibt? "Die Wohnqualität dürfte sinken", befürchtet der 58-Jährige, der schon seit Jahren in der BI "Der Ambergau wehrt sich" mitmischt – und nicht locker lassen will: "Ich erwäge eine Privatklage."

Auch in Wetteborn, ganz im Süden des Landkreises, haben sie gegen die Mega- Masten protestiert, die nun dicht am Ort errichtet werden dürften. Michael Rutha und Ingo Hanisch waren wie fast alle der 200 Einwohner mit von der Partie. Am Tag nach der Entscheidung klingen die beiden Männer fast schon resigniert. "Man setzt auf eine veraltete Technik und gefährdet unsere Gesundheit – was soll daran sinnig sein?", fragt Hanisch.

"Das ist eben die billigste Lösung – und eigentlich war das von vorneherein klar", ergänzt Rutha. Die lange Dauer des Planfeststellungsverfahrens habe auch den Protest abgeschwächt, fügt er an, das habe wohl System. Sarkastisch ergänzt er: "Immerhin braucht man sich hier unten um Wertverlust der Immobilien keinen Kopf zu machen." Noch während die beiden Männer sich unterhalten, stößt aus einem Nachbarhaus Liselotte Lage dazu. "Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen", sagt sie, als hätte sie geahnt, dass es um die Höchstspannungleitung geht. Und fügt an: "Man hat uns verraten und verkauft."

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Energie | Umwelt, Naturschutz, Klimaschutz

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