Bosch: "Wir sind hier alle geschockt"

Vor dem Werkstor im Hildesheimer Wald ist die Stimmung im Keller, viele Mitarbeiter haben Angst. Mit der Aufgabe der Produktion von Navigationsgeräten zum Jahresende verlieren 300 Mitarbeiter von Bosch Car Multimedia (CM) ihren Job.

Vor dem Werkstor im Hildesheimer Wald ist die Stimmung im Keller / Viele Mitarbeiter haben Angst

(Quelle: Hildesheimer Allg. Zeitung, 29.05.09) Hildesheim. Früher wäre man an dieser Stelle in diesem Moment schlicht über den Haufen gerannt worden. Doch die Zeiten, in denen Hunderte von Menschen zum Schichtwechsel aus dem Werkstor im Hildesheimer Wald stürmten oder auf das Gelände eilten, sind lange vorbei. Bald werden es noch weniger sein, mit der Aufgabe der Produktion von Navigationsgeräten zum Jahresende verlieren 300 Mitarbeiter von Bosch Car Multimedia (CM) ihren Job.

"Wie sich das anfühlt, wollen Sie wissen? Das kann ich Ihnen sagen: Scheiße", ruft ein Mann im Vorbeigehen einem Journalisten zu, dann rennt er weiter. Auch vielen anderen ist nicht nach Reden zumute, eine Frau um die 40 winkt höflich, aber bestimmt ab. Nein, sie wolle nichts sagen: "Wir sind alle geschockt."

Natürlich, hinter vorgehaltener Hand sei schon lange darüber gesprochen worden, dass eine Verlagerung ins Ausland anstehen könnte, räumt eine Frau ein.
Aber das tröstet wenig, wenn die Arbeitslosigkeit jetzt konkret vor der Tür lauert. "Ich weiß ja noch nicht einmal, ob ich bei den ersten 180 Leuten im Juli oder bei der zweiten Welle mit den übrigen 120 im September dabei bin."

Das Angebot der Geschäftsleitung, in die so genannte Zukunftswerkstatt zu wechseln, verbreitet offenbar wenig Zuversicht. Danach komme doch für viele die Arbeitslosigkeit, prophezeit ein CMMitarbeiter, der nicht von der Aufgabe der Produktion betroffen ist. "Die Leute werden eigentlich verklapst – ich wundere mich, dass es hier in der Belegschaft so ruhig ist." Doch dafür dürfte es einen handfesten Grund geben, der in diesem Moment am Werkstor fast mit den Händen zu greifen ist: Angst. "Klar habe ich Angst", bekennt eine Frau, die seit 20 Jahren "oben im Wald", wie es einst in Hildesheim hieß, ihr Geld verdient. "Doch was soll ich machen?"

Die Hoffnung, einen der verbleibenden 120 Jobs im Entwicklungszentrum samt Musterbau und Kleinserienfertigung zu ergattern, scheint an diesem Nachmittag nicht ausgeprägt zu sein. "Noch stehen die Namen nicht fest", betont ein Mann, klingt aber nicht wie jemand, der glaubt, er stehe später auf der Liste. Ein anderer ist skeptisch, ob das wirklich eine langfristige Perspektive wäre. "Erst einmal muss man das schon hoffen, dass der Ansatz mit der Musterfertigung hier funktioniert – aber wenn die Krise länger anhält..."

Die Skepsis ist auch dem kürzlichen Verkauf der Handelssparte von Blaupunkt an Aurelius geschuldet, das ist deutlich zu spüren. "Das war eine  Riesensauerei, die viele Kollegen auf die Palme gebracht hat", sagt ein langjähriger Blaupunktler. Noch nie zuvor habe Bosch eine Firma an eine Heuschrecke verkauft. Die These, dass es sich bei Aurelius um eine solche Heuschrecke handelt, scheint in der Belegschaft etliche Anhänger zu haben. "Seitdem der Bereich einen neuen Eigentümer hat, kann man richtig zusehen, wie die Belegschaft schrumpft", berichtet eine Frau, die wie fast alle aus Sorge vor Repressalien ihren Namen nicht nennt. Die Lautsprechersparte habe Aurelius bereits weiterverkauft, weiß ein Mitarbeiter. Fast nostalgisch denkt einer seiner Kollegen an die Zeit vor 25 Jahren zurück, als er bei Blaupunkt begonnen hatte: "Da gab es noch 3000 Beschäftigte am Römerring und 10.000 im Wald." Im Römerring steht heute ein Kaufhaus, im Hildesheimer Wald sind es insgesamt nur noch knapp 4000 Mitarbeiter bei allen dort ansässigen Firmen und Sparten. Wie viele es in zehn Jahren sein mögen? Da zuckt der Mann mit den Schultern. "Hoffentlich überhaupt noch welche."

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Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik | Wirtschaft und Verkehr

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