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(Quelle: KEHRWIEDER am Sonntag, 9.5.10) Hildesheim. Es ist die stets wiederkehrende Frage, die sich die Nazi-Gegner stellen müssen, wenn sich Rechtsextremisten zum Aufmarsch angekündigt haben: Soll man die braune Truppe schlichtweg ignorieren und unter Ausschluss der Öffentlichkeit demonstrieren lassen oder sich ihr entgegenstellen? Wertet man die Nazis und ihre Parolen erst dadurch auf, dass man schon Wochen vorher Gegenaktionen plant und um Unterstützung wirbt?
Die DGB-Kreisvorsitzende Regina Stolte hat sich stets dafür entschieden, für den öffentlichen Widerstand gegen Nazis zu trommeln. So wie bei den vergangenen beiden großen Demonstrationen der Rechtsextremisten in Hildesheim im Februar und Oktober 2007. Stolte gehörte damals zu den Organisatoren der Gegendemos, brachte mehrere tausend Menschen unter dem Motto "Bunt statt braun" auf die Straßen der Stadt. Die Gewerkschafterin ist auch in diesem Jahr an der Vorbereitung der Anti-Nazi-Proteste beteiligt – und weiß diesmal ein noch größeres Bündnis auf ihrer Seite als vor drei Jahren. In den kommenden Wochen finden mehrere Infoveranstaltungen statt, es folgen Konzerte und Kundgebungen.
Der 5. Juni selbst droht zu einem Tag des Ausnahmezustands in Hildesheim zu werden. Verschiedene Gruppierungen und "freie Kräfte" der rechten Szene wollen vom Bahnhof aus unter dem Motto "Tag der deutschen Zukunft" durch die Stadt marschieren. Am selben Tag findet aber anlässlich des 1.000-jährigen Bestehens der St.-Michaeliskirche auch das europäische Michaelisfest mit Gästen aus ganz Europa und Veranstaltungen in der Innenstadt statt. Außerdem ist ein mobiles "Stationentheater" geplant, dessen rund 200 Teilnehmer von der Steingrube bis zur Michaeliskirche ziehen.
Während Kirchen, Hochschulen, Schulen, Gewerkschaften und andere Einrichtungen einen bunten Gegenentwurf zu dem rassistischen Auflauf der Nazis vorbereiten, werben auch die Rechtsextremisten für ihre Sache. Dieter Riefling, bekannter und bekennender Neonazi aus dem Hildesheimer Landkreis, hat den Demonstrationszug für den 5. Juni bei der Stadt angemeldet und ist derzeit im Land unterwegs, um möglichst viele Gesinnungsgenossen in seine Heimat zu holen. Am 23. April warb er bei einem Treffen in Kiel um Unterstützung. Die dortige "Aktionsgruppe" lobte den "Kameraden" im Internet anschließend für dessen Auftritt, bei dem dieser die "gesamtpolitischen Geschehnisse in dieser Bananenrepublik" erläutert und auch nicht vergessen habe, "den Gewerkschaften einen mitzugeben für ihr anti-deutsches Handeln, welches insbesondere durch ihr Engagement gegen den Nationalen Widerstand und für volksfremde Elemente deutlich wird". Auch bei der Nazidemonstration in Berlin am 1. Mai war Riefling dabei. Im roten T-Shirt mit entsprechendem Aufdruck lief er Werbung für seinen "Tag der deutschen Zukunft". Dass er dabei mitunter nicht zimperlich ist, belegt ein Video, das auf dem Internetportal Youtube.com zu sehen ist: Riefling fühlt sich offensichtlich von Medienvertretern belästigt und fordert um sich schlagend "mehr Abstand", bevor Polizisten ihn wieder in die Schranken weisen. Um Distanz geht es in diesen Tagen auch in den Vorbereitungen der Hildesheimer Polizei. Distanz, die die Einsatzkräfte zwischen die 200 bis 300 erwarteten Nazis und vermutlich deutlich mehr Gegendemonstranten bringen und wahren wollen, wie Polizeichef Uwe Ippensen im Gespräch mit dem KEHRWIEDER erklärt. "Um Gruppen voneinander zu trennen, kann man auch natürliche Grenzen nutzen", sagt Ippensen und meint damit vor allem die Bahnlinie, die die Hildesheimer Nordstadt vom Innenstadtbereich trennt. Schon bei der Nazidemo im Oktober 2007 hatten die Ordnungskräfte in Abstimmung mit der Stadt die Rechtsextremen nördlich der Bahnlinie marschieren lassen, ohne dass die meisten Hildesheimer sie überhaupt zu Gesicht bekommen haben. "Unser Interesse ist auch", so Ippensen, "dass das Fest zum Kirchenjubiläum völlig ungestört und im angemessen feierlichen Rahmen ablaufen kann."
Um für ausreichend Sicherheit zu sorgen, werden wohl mehr als 1.000 Beamte nach Hildesheim kommen, womöglich muss Unterstützung aus anderen Bundesländern angefordert werden. Eine neue Herausforderung für die Polizisten könnten in diesem Jahr Straßenblockaden werden, zu denen ein Aktionsbündnis aufruft (siehe auch Interview unten). Die Initiatoren werben für eine Blockade des Naziaufmarsches – diese Form des Protests biete "erstmals eine erfolgversprechende Gegenstrategie" zu den Demonstrationen rechter Gruppierungen, heißt es auf der Internetseite der Blockade-Befürworter. Und weiter: "Wir werden den Nazis mit (Sitz-)Blockaden demonstrieren, dass wir sie weder in Hildesheim noch anderswo dulden."
Ippensen hingegen appelliert an die Initiatoren, von diesen Plänen Abstand zu nehmen. "Solange die Nazi-Demo nicht verboten wird, müssen wir das Demonstrationsrecht der Teilnehmer durchsetzen", sagt Ippensen, und fügt hinzu: "Ob es uns gefällt oder nicht – die Polizei muss im Einsatz neutral sein." Man werde den Nazigegnern den "größtmöglichen Freiraum" einräumen, kündigt Ippensen an. Aber: "Blockaden können wir nicht akzeptieren. In diesem Fall müssten wir, unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit, die Straße räumen." Dass die Polizei dabei in die missliche Lage gebracht wird, scheinbar auf Seite der Rechten zu stehen, gefällt auch Ippensen nicht. "Diese Außenwirkung kann leider entstehen."
Bei der Vorbereitung des Einsatzes kooperiert die Polizei bereits seit Ende 2009 mit der Stadtverwaltung - die schweigt sich zum Demo-Tag bislang allerdings aus. Lediglich die Bestätigung, dass Dieter Riefling den Umzug angemeldet hat, gibt es aus dem Rathaus. Zu möglichen Auflagen für die Nazis oder ob die Demo eventuell doch verboten werden soll, ist nichts zu hören.
Somit ist bislang auch unklar, ob die vor einigen Wochen vom Stadtrat beschlossene Resolution berücksichtigt wird. Darin hatte der Rat die Verwaltung aufgefordert, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um den Naziaufmarsch zu verhindern. Oberbürgermeister Kurt Machens selbst hatte sich bei der Abstimmung über die Resolution enthalten. Zur Begründung verwies er auf seine Neutralitätspflicht als Chef der entscheidenden Versammlungsbehörde.
Dass Oberhäupter anderer Städte in solchen Fällen durchaus nichts von Neutralität halten, zeigte zuletzt unter anderem der Oberbürgermeister Schweinfurts, Sebastian Remelé, (CSU) am 1. Mai. Der erst im März ins Amt gewählte 40-Jährige hatte sich an die Spitze der Anti-Nazi-Demo in seiner Stadt gesetzt und offensiv für Völkerverständigung geworben. Zu den ausländischen Bürgern sagte er auf Deutsch und Türkisch: "Wir wollen und brauchen euch."
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